Schlägt man eine x-beliebige Zeitung auf oder surft über
Nachrichtenseiten, man wird ihm begegnen, dem Konflikt zwischen der
aktuellen Jugendgeneration und ihren Vorgängern, auch wenn sich die
Kritik an den Generationen Y und Z ein wenig anders darstellt, als
die an den vorhergehenden. Gegeben hat es den Generationenkonflikt
aber so gesehen schon immer. Die "Alten" hatten Probleme
erzeugt, die die "Jungen" auslöffeln mussten, die "Jungen"
machten wieder einmal alles anders als es ihre Erzeuger erwarteten
und schon wurde in irgendeiner Form jene alte Klage aus Babylon
wiederholt:
„Die heutige Jugend ist von Grund auf verdorben, sie
ist böse, gottlos und faul. Sie wird niemals so sein wie die Jugend
vorher, und es wird ihr niemals gelingen, unsere Kultur zu erhalten“
(Babylonische Tontafel von ca. 1000 v. Chr.)
Klingt das bekannt? Wahrscheinlich, weil jede Generation seit 3000
Jahren und mehr eine ähnliche Klage anstimmt. Nun aber zu den
Fakten: Zivilisation haben wir irgendwie immer noch. Wir sind nicht
mehr im alten Babylon aber da wir uns irgendwie immer noch vom Tier
unterscheiden, müssen wir es also geschafft haben, Kultur zu
erhalten.
Hat es die Jugendgeneration nun schon in der aktuellen Zeit
schwer, gegen die geballte Verurteilung der älteren Generationen
anzukommen, wie muss es dann erst Jugendlichen gehen, die sich in
einem dystopischen Setting wiederfinden?
Nun, man muss in meinen Augen hier die verschiedenen dystopischen
Settings auseinandernehmen.
Postapokalyptische Settings haben meistens gemeinsam, dass die
bisherigen Gesellschaftsregeln radikal über den Haufen geworfen
werden, egal ob wegen einer Zombieapokalypse, Krieg oder einem Virus,
das die Weltbevölkerung dahinrafft. In diesem Setting haben
Jugendliche sogar einen Vorteil. Sie können sich schneller darauf
einstellen, das zu tun, was notwendig ist, zu überleben. Sie sind
außerdem im Regelfall körperlich fitter und dementsprechend weniger
anfällig dafür, Krankheiten oder Verletzungen sofort zum Opfer zu
fallen. Außerdem sind Jugendliche noch weniger festgefahren in
gesellschaftlichen Konstrunkten, was es ihnen einfacher macht, damit
zurecht zu kommen, dass die Gesellschaft mit einem Schlag
zusammenbricht. Von 1999 bis 2003, also noch vor der Zeit, in der
Dystopien im Trend lagen, gab es die Fernsehserie "The Tribe"
in der ein Virus alle Erwachsenen getötet hatte, es also den
Jugendlichen oblag, eine neue Gesellschaft hochzuziehen.In dieser
Serie bedeutete das, dass die Jugendlichen sehr schnell "erwachsen"
wurden, eben auch, weil sie damit rechnen mussten, als Erwachsene
schnell zu sterben und dementsprechend auch vor dem Problem der
Fortpflanzung und dem Aufziehen des Nachwuchses etc. standen. Wie
realistisch das Ganze war, darüber will ich hier nicht groß
eingehen, es geht mir mehr darum, dass die Jugendlichen hier zwar
natürlich den Vorteil ihres geringen Alters ausspielen konnten, mit
eventuell überlebenden Erwachsenen aber sehr böse
aneinandergerasselt wären, weil sie (natürlich zwangsläufig) die
Gesellschaft einmal auf den Kopf gestellt haben.
In mancher
Hinsicht hinterfragen gerade jüngere Jugendliche auch weniger. Das
macht sie in postapokalyptischen Settings eigentlich zu den idealen
Bewohnern. Sie verzweifeln nicht daran, dass die Welt, wie sie sie
kannten, dahin ist (wenn sie die zuvor bestehende Ordnung überhaupt
noch aktiv mitbekommen haben), sondern handeln. Der insbesondere bei
Jugendlichen besonders stark vorhandene Wunsch danach, dazuzugehören,
lässt die jungen Bewohner einer postapokalyptischen Welt in mancher
Hinsicht wohl auch schneller abstumpfen. Die anderen tun es ja auch,
also wird es schon richtig sein. Insbesondere wenn die ältere
Generation resigniert und verzweifelt, kann das für die
Jugendlichen, die sich von den Eltern abgrenzen wollen, genau der
Grund sein, die Initiative zu ergreifen. Außerdem müssen sie ja
auch noch idealerweise einige Jahrzehnte in dieser
postapokalyptischen Welt überleben, also geben sie sich weniger Zeit
für Nostalgie etc.
Ein weiteres Setting will ich jetzt mal „Politisches Setting“
nennen. Dieses zeichnet sich dadurch aus, dass in diesem Fall die
Veränderungen durch politische Eingriffe erfolgt sind. Grund für
diese Eingriffe mögen ebenfalls Naturkatastrophen oder Kriege
gewesen sein, aber hier dreht es sich meistens nicht mehr „nur“
ums Überleben der Einzelnen. Das macht die Konflikte oft subtiler.
Auch weil die Gesellschaft, in der diese jungen Menschen aufwachsen,
formbarer scheint. Dass man in „The Tribe“ stirbt, wenn man ein
bestimmtes Alter erreicht, oder aber dass man zum Zombie wird, wenn
einen ein Zombie beißt, das ist ein unausweichliches Schicksal,
daran lässt sich nicht rütteln. Dass man zur falschen Fraktion
gehört, im falschen Distrikt geboren ist oder Ähnliches, daran kann
man rütteln. Und wie ich schon schrieb, Jugendliche wollen sich von
den Eltern abgrenzen, rütteln daher also ganz gerne mal an den
Gesellschaftsstrukturen. Bewegungen wie die Punks oder die Hippies
machten das ja auch in der ganz realen Welt vor. Politischen Settings
ist aber im Allgemeinen auch gemein, dass die jeweiligen Regierungen
bzw. sonstige gesellschaftliche Eliten sehr hart durchgreifen, wenn
jemand aus der Reihe tanzt. Es besteht in solchen Settings
grundsätzlich eine gewisse Angst vor dem, was passieren könnte,
wenn jemand aus der Reihe tanzt. Egal, ob das in Panem der Fall sein
mag, oder in meiner eigenen Dystopie „Innocence lost“, es besteht
die Angst davor, dass Einzelne, die aus der Reihe tanzen, das gesamte
Gesellschaftskonstrukt ins Wanken oder sogar zum Einstürzen bringen
können.
Und wenn man diese Angst als Grundlage nimmt, ist klar,
warum gerade in solchen Settings das Verhältnis der Jugendlichen zu
der aktuellen Erwachsenengeneration so angespannt ist.
Jugendliche tanzen aus der Reihe, das ist ganz normal. Sie grenzen
sich von ihren Eltern ab, sie versuchen, eigene Wege zu finden und
ihnen versperrt normalerweise keine Festgefahrenheit auf bestimmte
Sachverhalte den Weg. Außerdem wissen sie im Regelfall instinktiv,
dass sie nicht Schuld sind, an der Misere, in die die vorhergehende
Generation sie hineingeritten hat. Sie wissen, dass sie in mancher
Hinsicht stärker sind, als die Erwachsenen. Ein Beispiel wäre in
„Die Tribute von Panem“ das Verhalten von Katniss und ihrer
Mutter. Die Mutter verfällt nach dem Tod des Vaters in Apathie,
kümmert sich nicht mehr um ihre Kinder und zwingt ihre älteste
Tochter dadurch in die Rolle der Ernährerin und Beschützerin, die
Katniss erfüllen muss, weil sie sonst ihre kleine Schwester und ihr
eigenes Leben verlieren wird. Der Überlebenswille der Jugendlichen
ist meistens stärker als alles andere. Die Tribute in Panem wissen,
dass die Spiele nur einer überleben kann und sie setzen alles dran,
dass sie dieser Jemand sind. Erwachsene in der selben Arena würden
vermutlich bisweilen über Selbstmord nachdenken, um zumindest
halbwegs schmerzfrei zu sterben. Das sind Gedanken, die den
Jugendlichen gar nicht erst kommen.
Was aber unweigerlich kommt,
egal ob bei Katniss, bei den Jugendlichen in meiner eigenen Dystopie
oder bei anderen Jugendlichen in Dystopien ist irgendwann ein anderes
Gefühl: Wut. Sie finden sich in einer Gesellschaft wieder, die sie
einschränkt, sie bedroht und die über sie verfügt und es wird
ihnen gesagt, dass sie nichts tun können. Und es ist meist die
Generation ihrer Eltern oder Großeltern, die diese Strukturen
etabliert hat. Und der Elterngeneration können sie zumindest den
Vorwurf machen, die Verhältnisse geduldet zu haben. Je nachdem wie
existentiell die jeweilige Bedrohung ist, verstärkt das die Wut,
denn die Jugendlichen in Panem und in der Welt meiner Dystopie können
ihren Eltern wirklich den Vorwurf machen: „Ihr lasst zu, dass man
uns tötet!“
Nun ist das zum einen ein Vorwurf, den man als Eltern wirklich
nicht hören will, zum andern wissen wir, die wir uns mit
Gesellschaft etc. beschäftigen, dass Menschen wirklich schon sehr
abgestumpft sein müssen, dass sie es hinnehmen, dass ihre Kinder
weggenommen und getötet werden. Und Kinder und Jugendliche haben im
Regelfall recht feine Antennen. Sie spüren diese Abstumpfung der
vorhergehenden Generation und diese macht ihnen nicht selten Angst
und erzeugt den Gedanken: „So will ich auf keinen Fall enden!“
Das, kombiniert mit der vorher bereits erwähnten Wut und der
Tatsache, dass Jugendliche, insbesondere jüngere Jugendliche noch
ziemlich in den Kategorien „Schwarz“ und „Weiß“ denken, ist
auch bereits das Gefahrenpotential, das viele Erwachsene in den
Jugendlichen sehen. Jugendliche sind nicht selten eher bereit,
extreme Mittel einzusetzen, um ihre Ziele zu erreichen, weil sie ihre
Ziele für uneingeschränkt richtig halten. Das soll jetzt nicht
heißen, dass es nicht auch genügend Erwachsene gäbe, die so
denken, sonst würde es Organisationen wie den IS oder andere
Terrorgruppen nicht geben. Aber es soll hier schließlich um die
Jugendlichen gehen.
Jugendliche, die eine bestimmte Sache als die Ihre übernommen
haben, sehen meistens großzügig über die Fehler der jeweiligen
Anführer bzw. Ideologien hinweg. Dies erklärt zum Beispiel die
weitverbreitete Existenz eines gewissen Porträts in Rot und Schwarz,
in Jugendzimmern dieses Planeten. Bereits erraten, welches Porträt
ich meine? Nein? Ein Tipp noch: Der Gesuchte trägt auf diesem
Porträt eine Militärmütze mit Stern. Genau: Che Guevara. Nicht,
dass dieser Herr eine wirklich weiße Weste hätte, aber er steht für
Rebellion, in gewisser Weise für Freiheit und Gleichheit und das
reicht schon, um ihn in den Jugendzimmern unsterblich zu machen. Ich
will nun keinesfalls behaupten, dass alle Jugendlichen unkritisch
wären. Aber so lange man selbst noch auf der Suche nach Falsch und
Richtig ist, kann man bisweilen auch das Eine mit dem Anderen
verwechseln. Das passiert auch begeisterten Erwachsenen, aber im
Prozentsatz ist das die kleinere Gruppe.
Und nun kommen wir zu dem tatsächlichen Konflikt: Auf der einen
Seite haben wir die Jugendlichen, noch unverbraucht, begeistert von
eine bestimmten Idee, wütend auf das System und wild entschlossen,
es anders zu machen, als ihre Eltern.
Auf der anderen Seite haben
wir die Erwachsenen, desillusioniert, teilweise schon fast apathisch,
eingeschossen auf das jeweilige System und erschrocken vor der Wut
der Jugendlichen.
Da die meisten Erwachsenen recht schnell
vergessen, dass sie diese Wut einmal selbst verspürt haben, ist
klar, warum sie die Jugendlichen für fähig halten, entsetzliches
Unrecht zu begehen.
Das wiederum kann den Konflikt noch
zusätzlich befeuern, weil die Jugendlichen sich, zu Recht, als
ungerecht behandelt empfinden und die Wut dadurch noch intensiviert
wird. Man kann die Gefahr eines Teufelskreises aus diesem Absatz
herauslesen.
Und wie meistens in einem Konflikt, in dem alle und keiner Recht
haben, gibt es da auch keine einfache Lösung. In unserer Welt löst
sich der Konflikt im Regelfall dadurch auf, dass Jugendliche nun
einmal nicht ewig Jugendliche bleiben.
In einer Welt wie Panem, in
der die Gesellschaft auf einem sehr viel wackeligeren Fundament
errichtet wurde, ist es allerdings einfach möglich, dass der
ursprüngliche Generationenkonflikt sich zu einem Konflikt zwischen
verschiedenen Fraktionen ausweitet und die Gesellschaft tatsächlich
sprengt. Kein Verlust, mag man jetzt sagen, aber es erklärt, warum
so viele Menschen mehr Angst vor jugendlichen Unruhestiftern, als vor
tatsächlichen Verbrechern zu haben scheinen.
Um den Generationenkonflikt wirklich erschöpfend zu behandeln,
müsste man nun eigentlich auch noch auf die insbesondere männliche
Neigung zu deviantem Verhalten etc. eingehen, aber das wäre ein Buch
für sich und würde damit den Rahmen eines einzelnen Beitrags zur
Blogparade wirklich sprengen. Von daher halte ich es weiterhin ein
wenig oberflächlicher und versuche, einen Gesamtabriss zu geben.
Der Generationenkonflikt zeigt sich aber auch noch an etwas
anderem, nämlich an den Bemühungen, die gezeigt werden, um die
Gefahr, die von der jungen Generation auszugehen scheint,
einzudämmen. Dies kann zum Beispiel die Tatsache sein, dass man hier
in Deutschland erst mit 18 das Wahlrecht hat, jedoch durchaus auch schon deutlich jünger strafrechtlich belangt werden kann und auch schon früher steuerzahlender Arbeitnehmer sein kann, das können in
verschiedenen Dystopien Arbeitslager, Bootcamps oder auch die
Hungerspiele sein. Es kann aber auch die Tatsache sein, dass man mit
Auswahlverfahren und Tests die Jugendlichen verschiedenen Fraktionen
zuordnet, was ein ganz guter Trick ist, um zu verhindern, dass sie
sich alle zusammenschließen. Denn da Gruppen nur dadurch Bestand
haben, dass sie sich von anderen abgrenzen, lenkt man den Konflikt
von dem zwischen den Generationen auf den gewollten Konflikt zwischen
den Fraktionen um.
Und jetzt ist auch klar, warum Katniss oder andere jugendliche
Anführer einer Rebellion eine solche Horrorvorstellung für
totalitäre Regime sind. Rebellionen sind für solche Regime immer
ärgerlich und gefährlich. Nun aber auch noch eine Jugendliche an
der Spitze zu haben, mit der sich also auch die anderen Jugendlichen
besser identifizieren können, heißt, dass es mehr Unterstützer
gibt, die bereit sind, für ihre jeweiligen Ideale aufs Ganze zu
gehen. Und selbst wenn diese Rebellion niedergeschlagen wird, wird
man sie nicht ganz los, weil man die nächsten Jahre bis Jahrzehnte
Menschen im Volk hat, die sich noch an ihre Teilnahme an der
Rebellion erinnern werden und daraus möglicherweise auch Kraft
schöpfen und diese Ideale weitergeben. Weitergeben an eine nächste
Generation, der nicht mehr der Schreck über die Niederschlagung der
Rebellion in den Knochen sitzt. Das ist für ein totalitäres Regime
wirklich ein Albtraum. Und dann kommt noch dazu, dass totalitäre
Regimes von guter Propaganda leben und überleben. Jugendliche aus
dem Weg räumen zu müssen, ist aber denkbar schlechte Propaganda,
zumal es auch die Gefahr birgt, dass die Erwachsenen doch noch einmal
aus ihrer Lethargie erwachen und den Kampf aufnehmen, den sie um
ihrer selbst Willen nicht mehr aufnehmen würden. Das ist für die
jeweiligen Regimes dann im Regelfall der Todesstoß, selbst wenn die
Regierung nicht sofort zusammenbricht, es hat weder in der Geschichte
unseres Planeten, noch in den Dystopien, die ich so gelesen, bzw.
davon gehört oder gesehen habe, Regimes gegeben, die sich davon
jemals wieder vollständig erholt haben.
Mit diesem kurzen Abriss schließe ich auch, denn wie gesagt, mehr
würde Bücher füllen und hat sie auch bereits gefüllt.
Was brachte mich nun dazu, diesen Artikel schreiben zu wollen?
Nun, zum einen gehöre ich selbst zur so oft geschmähten Generation
Y und bin damit wohl gerade in dem seltsamen Spannungsfeld, mich
sowohl den Jugendlichen als auch den Erwachsenen zugehörig zu
fühlen, weil ich noch nahe genug an den Jugendlichen dran, aber auch
nicht mehr so weit von den Erwachsenen weg bin. Dies beeinflusst
natürlich auch mein Schreiben. Und da ich mit Zombieapokalypsen und
Weltuntergängen noch nie allzu viel anfangen konnte, wenden sich
meine Dystopien dementsprechend eher den politischen Settings zu. Und
da man über Dinge, die man selbst in gewisser Weise auch erlebt hat,
am einfachsten schreiben kann, fließt der Generationenkonflikt
geradezu zwangsläufig mit in mein Schreiben ein und da ich ihn in
„Innocence lost“ in gewisser Weise bis zum Exzess ausgelotet
habe, indem ich bestehende Tendenzen wirklich bis auf die Spitze
getrieben habe, hatte ich nun einmal das Bedürfnis, auch darüber zu
bloggen, wofür sich diese Blogparade geradezu anbot.Morgen findet ihr dann einen Artikel von Guddy Hoffmann über
Rassismus im Rahmen der Blogparade. Und die Sammlung aller Artikel findet ihr bei
Meara Finnegan, die das Ganze auch initiiert hat.